Unter den Millionen Menschen, deren Leben durch die Herrschaft der Diktatoren Hitler und Stalin zerstört wurden, waren zwei Künstlerinnen, die beide zu Anfang des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen Europas geboren wurden. Beide waren begnadete Pianistinnen, deren Karrieren früh und hoffnungsvoll begonnen hatten, bevor sie in Haft kamen, weil sie im falschen Moment am falschen Ort waren. Durch die Kraft der Musik waren sie in der Lage, der Verzweiflung Widerstand zu leisten.
Die französische Pianistin Vera Lautard-Chevtchenka, in Turin geboren, in Paris aufgewachsen, verheiratet mit einem russischen Diplomaten, wurde 1941 in Russland verhaftet und überstand das Straflager in Sibirien, indem sie sich aus einem Holzbrett eine Klaviatur baute und ihre jetzt stummen Lieblingsstücke darauf spielte. Alice Herz-Sommer, zwei Jahre jünger als Vera, in Prag geboren, Jüdin, wurde 1943 mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach Theresienstadt deportiert, dem Vorzeigelager der Nazis, mit dem sie der Welt beweisen wollten, dass die Juden im Konzentrationslager ein gutes Leben hätten. Alice Herz-Sommer musste Konzerte geben, so, als wäre die Welt in Ordnung. Sie spielte alles auswendig.
Vom Überleben dieser beiden Frauen in bedrängendsten Lebensverhältnissen erzählt das Musiktheater-Projekt „Das blaue Klavier“, mit Musik der luxemburgischen Pianistin und Komponistin Albena Petrovic-Vratchanska. Der Titel des Abends geht auf Else Lasker-Schülers Gedicht „Mein blaues Klavier“ zurück, das sie 1937 in Zürich schrieb, kurz bevor sie nach Jerusalem emigrierte; es handelt von einem blauen Spielzeugklavier, Symbol für eine verloren gegangene glückliche Kindheit vor dem Beginn der Katastrophen des 20. Jahrhunderts.
Mein blaues Klavier
Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.
Es spielten Sternenhände vier –
Die Mondfrau sang im Boote.
– Nun tanzen die Ratten im Geklirr.
Zerbrochen ist die Klaviatur.
Ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür,
Auch wider dem Verbote.
Else Lasker-Schüler
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